St. Kilian Distillery 2018

 
Ok, die Brennerei liegt nicht in Schottland, sondern in Deutschland. Den Ort Rüdenau konnte ich vor meinem Besuch weniger geografisch zuordnen als Killearn. Port Charlotte und Umgebung kenne ich im Gegensatz zur Umgebung von Rüdenau (wo auch immer das sein sollte...) wie meine Westentasche. Und überhaupt - deutscher Whisky, gebrannt in für Obstbrände konzipierten Brennblasen, darüber habe ich immer nur gelächelt und meist widerwillig probiert, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Aber vor ca. 3 Jahren habe ich mal über eine angeblich nach schottischem Vorbild aufgebaute (bzw. im Bau befindliche) reine Whiskybrennerei mitten in Deutschland gelesen und sie in meinem Hinterkopf als zukünftiges Besuchsziel abgespeichert. Und am 08.09.2018 war es soweit: Paul und ich (Svenson) machten uns auf den Weg an die hessisch-bayrische Grenze, um der deutschen Whiskylandschaft eine weitere Chance zu geben.
 
Ein paar Fakten, die bestimmt nicht jedem geläufig sind:
-Deutschland hat nach Schottland die meisten Whisky herstellenden Betriebe Europas.
-Rüdenau liegt bei Miltenberg nahe Aschaffenburg, nicht weit von Frankfurt a.M., sehr gut erreichbar.
-Es gibt ein Hotel in Rüdenau zwecks Übernachtung :-)
-St. Kilian ist mit momentan ca. 200.000 Litern p.a. Produktionsmenge New Make die Nummer 1 in Deutschland.
-Der erste Whisky von St. Kilian kommt pünktlich nach 36 Monaten im Jahr 2019 auf den Markt.
 
Wir schauten uns auf dem Hinweg die wunderschöne Kleinstadt Miltenberg am Main an, die nur wenige Kilometer von der Brennerei entfernt ist. Dann gings nach Rüdenau, welches wir dank Navi auch sicher erreichten. Im Hotel eingecheckt und zu Fuß 5-10 Minuten zu St. Kilian gelaufen. Die Destille ist in einer ehemaligen Textilfabrik beheimatet, weshalb sie von außen nicht mit Ardbeg & Co zu vergleichen ist. Aber zwei große Malzsilos lassen vermuten, dass hier ambitioniert gebrannt wird.
 
Hier landet die gemälzte Gerste. Alle zwei Wochen kommt eine Lieferung peated malt direkt aus Schottland. Hierbei handelt es sich um mit bis zu 100 ppm getorfte Gerste, im Standard 54 ppm. Nur zum Vergleich: Ardbeg und Laphroaig verwenden ca. 40 ppm peated malt.
 
Man kann die Brennerei am Ortseingang von Rüdenau kaum übersehen.
 
Marco, der federführend für das Marketing von St. Kilian zuständig ist, begrüßte uns herzlich, führte uns durch die Destille und erklärte uns die Produktionsanlagen. Vom ersten Augenblick an merkt man, dass hier Whisky mit höchster Professionalität, aber auch Experimentierfreude und Liebe zum Detail entsteht. Hier verschwimmt der Unterschied zu unseren geliebten schottischen Destillen und ich muss zugeben, dass wir sehr beeindruckt waren und es noch immer sind! Hier ein paar Bilder, damit dies ansatzweise nachempfunden werden kann:
 

Alles blitzeblank geputzt!
 
Marco erklärt stolz, dass die Software für den computerunterstützten Produktionsprozess ständig von Experten in Irland überwacht wird.
 
Paul begutachtet zufrieden den 12.000 Liter fassenden Maischbottisch (Mash Tun), in dem der Malz-Schrot mit heißem Wasser vermischt wird, um Enzyme zur Umwandlung von Stärke in Zucker zu aktivieren.
 
Direkt daneben stehen vier Washbacks, die jeweils 10.800 Liter fassen. Hier wurden (lt. Marco nicht nur aus Optikgründen) keine Kosten gescheut und Holztanks den in Anschaffung und Pflege günstigeren Edelstahltanks vorgezogen. Nachdem die Würze aus dem Mash Tun in die Washbacks gepumpt wurde, wird unter Zugabe von Hefe der Gärprozess kontrolliert gestartet.
 
Die Bewegung der gärenden Flüssigkeit entwickelt sich bei St. Kilian ausschließlich aus Eigendynamik, ohne einen (wie sonst oft vorhandenen) "Quirl".
 
Nach der Fermentation (Gärung) geht es für die Flüssigkeit ab in die erste 6000 Liter fassende Brennblase, die Wash Pot Still. Hier wird die 8% vol. Würze zu einem Rohbrand mit 23% vol. gebrannt. Eine zweite identische Brennblase, die Spirit Pot Still, erzeugt den hochprozentigen New Make, welcher dann zur Reifung in die Fässer kommt.
 
Wie die Brennblasen ist auch der Safe von Forsyths/Schottland produziert! Der Safe dient der Trennung von Vor-, Mittel- und Nachlauf. Nach strenger deutscher Zollvorschrift sind der Safe und die Spirit Pot Still hinter dickem Glas und Gittern unzugänglich gemacht, so dass bloß kein Tropfen an der Steuer vorbei "abgezapft" werden kann. Selbstverständlich wird jeder Tropfen, der aus dem Hahn links fließt, um Mittellauf und Nachlauf zu identifizieren, genau gezählt und registriert. So durch und durch schottisch die Produktionsanlage ist, so merkt man doch z.B. an Sicherheitsvorkehrungen und Umsetzung verschiedener Vorschriften, dass man in Deutschland ist. Wer St. Kilian besucht, sollte mal ganz nebenbei auf die Kabelführungen achten. Ich glaube nicht, dass es in Schottland auch nur ansatzweise eine solche Ordnung gibt...
 
Das Fasslager umfasst seit kurzem über 3000 Fässer und es kommen jede Woche neue hinzu. Es wird mit verschiedensten üblichen (Bourbon, Rum, Port, Süßwein, Rotwein, Sherry usw.), aber auch durchaus eher außergewöhnlichen Fässern (z.B. Kastanie) experimentiert. Um einen schnelleren Reifeprozess zu gewährleisten und damit auch schneller Ergebnisse und damit auch verkaufbaren Brand zu erzeugen, setzt man bei St. Kilian auch auf kleinere Fässer. Privatkunden können sich übrigens ein (oder mehrere) 30-Liter-Fässer kaufen und zur Reifung in der Brennerei lagern lassen oder mit nach Hause nehmen (Kosten je nach Fass unterschiedlich).
 
Interessant ist die "Abfüllanlage". Jede Flasche wird (noch!) von Hand abgefüllt und...
 
...von Hand etikettiert! Hier seht ihr Batch Nr. 5, gereift im Ex-Amaronefass. Uns gefiel der 27 Monate gereifte Brand (es ist ja noch kein Whisky...) sehr gut. Das Fass war schön eingebunden! Zufällig wurde dieser Brand am Tag unseres Besuchs auf den Markt gebracht. Wer übrigens eine Flasche erworben hat, bei dem das Etikett etwas schief drauf geklebt ist, dann ist es höchstwahrscheinlich von uns persönlich etikettiert worden. Paul und ich müssten nämlich die erhaltenen Fassproben abarbeiten...
Wir probierten übrigens mehr oder weniger lange gelagerten Brand aus verschiedensten Fässern. Unser Fazit war, dass der getorfte und der ungetorfte Brand durchaus großes Potenzial haben, um in Zukunft Whiskys hervorzubringen, die sich hinter "den Schotten" nicht verstecken müssen. Ich hätte bis vor Kurzem noch nicht gedacht, dass ich das in naher Zukunft mal schreiben werde! Natürlich werden die nächsten Jahre erst zeigen, ob dies wirklich gelingt, aber die Voraussetzungen waren in Deutschland noch nie so erfolgsversprechend wie bei den St. Kilian Destillers! St. Kilian ist in Bezug auf Whiskyproduktion momentan einzigartig in Deutschland.
 
St. Kilian bietet als Event regelmäßig Whiskytastings an. Hierbei bekommt man erst eine Brennereiführung mit Proben und anschließend werden meist 6 Whiskys mit Erklärung verkostet. Wir konnten bei unserem Besuch an einem dieser Tastings teilnehmen. An diesem Nachmittag präsentierte Tim Scholl interessante Whiskys abseits der bekannten Marken. Dazu gab es ein reichliches und abwechslungsreiches Buffet, so dass wir den Tag mit vielen neuen Eindrücken im Hotel ausklingen lassen konnten.
Wer sich für die Brennerei interessiert und sich über eine empfehlenswerte (!) Führung oder noch besser eines der Tastings mit Führung informieren möchte, hier der Link zur Homepage von St. Kilian: www.stkiliandistillers.com/